Die sympathische Boxerin Bilgenur Aras, Nummer 2 in Deutschland und Nr. 60 der Welt, hat bis jetzt sieben Fights hinter sich mit einer KO-Quote von über 70 Prozent. Es war ein langer Weg dorthin, er führte über die Straße zum Fußball und endete sehr erfolgreich beim Boxen im Federgewicht. „Bilgi“ oder „Puncherrella“, wie sie genannt wird, schildert selbst, wie viel Mut, Wille und vor allem Ehrgeiz dazu gehört hat, ihre selbst gesetzten Ziele zu erreichen. FASHION GUIDE MAGAZIN hat ihr dazu weitere Fragen gestellt, die sie in der ihr eigenen sympathischen Art und Weise spontan und sehr persönlich beantwortet hat. Wir sind sicher, dass sie ihre Ziele für die Zukunft fest im Auge hat und auch erreichen wird.

Warum hast Du Dir ausgerechnet das Boxen ausgesucht? Als Kind habe ich viele Sportarten ausprobiert: Tanzen, Karate, Leichtathletik und Fußball. Fußball hat mich am meisten angezogen, ich wurde schnell in einen Verein aufgenommen und habe in den stärksten Frankfurter Frauen-Mannschaften gespielt – ich war mit Herz und Seele beim Fußball. Ein Flyer „Komm ins Boxcamp Gallus“, der zufällig an meinen Sneakers kleben blieb, hat dann alles verändert. Mit meiner Grundschul-Freundin ging ich ins Boxcamp und war einfach nur neugierig. Der Trainer Hossein Mehranfard lud uns zu einem Schnupperkurs ein und ließ uns als erstes fünf Minuten Seilspringen. Ich war so begeistert und ehrgeizig, diesen Sport zu schaffen, dass ich mich mit Hilfe des Jugendamtes im Boxcamp angemeldet habe. Es wurde mein Zuhause und mein Halt.

Du hast begeistert Fußball gespielt, warum boxt Du heute? Fußball war meine Leidenschaft, und ich habe es geliebt. Das Team, der Teamgeist, die Spiele (vor allem die Spiele im Regen). Mich hat aber das Boxen noch mehr interessiert, vor allem wegen der Disziplin und Struktur, besonders wegen des Durchsetzungsvermögens. Und Du brauchst neben harter Arbeit viel Ehrgeiz. Das klang alles sofort nach mir! Ich komme von der Straße, bin dort aufgewachsen, und ich musste mich immer wieder durchboxen – wieso also nicht auch im Ring? Nach dem ersten Boxtraining wusste ich: Ich will und gehöre in den Ring. Ehrgeiz hatte ich immer und den Willen, mich nach oben zu kämpfen. Ich habe eine Zeitlang beides gemacht: zweimal in der Woche ins Fußballtraining, dreimal in der Woche Boxen und am Wochenende die Fußballspiele. Ich wollte in beiden erfolgreich sein, das ging aber nicht, und ich musste mich entscheiden. Die Wahl fiel daher ohne zu zögern aufs Boxen.

Boxen ist kein klassischer Frauensport. Wie war dein erstes Boxtraining? Wie ist es Dir als Frau ergangen? Was hast du gefühlt? Boxen ist zwar kein gewöhnlicher Sport für eine Frau, aber mittlerweile ist er weit verbreitet und wird akzeptiert. Mein erstes Boxtraining war hart und extrem. Ich habe zum ersten Mal einen Trainingsschmerz gespürt, der anders war. Schmerzhaft und zugleich gewollt und einfach unbeschreiblich. Nach dem Training wusste ich zu 100% – das ist mein Sport. Hier werde ich wachsen. Ich bin schon immer mit dem männlichen Geschlecht besser klar gekommen als mit dem weiblichen (Wie man das so kennt: viele Frauen miteinander „ohjeee“ …. aber mit Humor geht’s immer.) Im ersten Training lief es sehr gut. Ich war so auf das Training fokussiert und auf das, was mein Trainer von mir erwartete, dass ich alles um mich herum abschalten konnte.

Hast Du auch echte Wettkämpfe bestreiten dürfen? Oh ja ! Da ich sehr fleißig und ehrgeizig war, wurde ich dafür auch schnell belohnt. Vom ersten Sparringskampf an (wo es keinen Gewinner gibt und dies quasi zum Schnuppern ist) bis zu meinen letzten Internationalen Turnier in Polen. Ich wurde in den Hessenkader aufgenommen, habe in meiner Amateurkarriere mehr als 60 Kämpfe bestritten und hunderte von Sparrings absolviert. Ich wurde mehrfach Deutsche Meisterin, Deutsche Vizemeisterin, Südwest-Meister sowie Hessenmeisterin meiner Klasse.

Heute bist Du Profiboxerin. Der Weg von Null auf 100, von der Amateurin zum Profi, muss doch hart gewesen sein, oder? Oh ja, der Weg war schwer und auch sehr hart. Ich habe mit dem Profiboxen 2019 angefangen. Wegen meiner Erfahrung und auch meiner Gewichtsklasse, die zumindest in Deutschland leider nicht stark besetzt ist, kam Aufhören für mich nicht in Frage, und so entschied ich mich dann, den Sport professionell auszuführen. Das Profigeschäft ist anders, das heißt mehr Beruf als Hobby. Auch da gilt „Alles oder nix.“ Ich trainiere zweimal am Tag Athletik und Boxen, dazu kommen 8-10 Trainingseinheiten in der Woche. Boxen ist für mich kein Hobby – ich boxe aus Liebe und Leidenschaft. Mein Ziel ist es, an die Weltspitze zu gelangen. Verdammt schwierig aber – NIEMALS UNMÖGLICH.

Was macht Deiner Meinung nach einen leidenschaftlichen Boxer oder eine Boxerin aus? Boxen ist nicht jedermanns Sache, ein Boxer zu sein bedeutet ALLES ODER NIX. Du musst den Willen haben, jeden Tag hart zu trainieren, egal wie schwer es ist, egal wie weh es tut und egal, wie oft Du am Boden liegst. Neben dem Willen gehören Disziplin und besonders viel Ehrgeiz dazu. Du musst auf vieles verzichten können und alles in Deinen Sport stecken. Und Du brauchst den Willen, Dich Tag für Tag zu verbessern und Dich mit Blut, Schweiß und Tränen an die Spitze kämpfen zu wollen. Das wichtigste Fundament für einen Boxer ist sein Team. Ich habe ein sehr starkes Team an meiner Seite, das mich in allen Punkten unterstützt und zu hundert Prozent hinter mir und meinen Träumen steht.

Gibt es Vorurteile gegenüber Boxerinnen? Welche hast Du erlebt? Vorurteile gegenüber Boxerinnen gibt es viele. Jedoch muss ich sagen, dass ich selbst noch nie damit konfrontiert wurde. Natürlich sind es meist die Männer, die im ersten Moment überrascht sind und es nicht glauben, wenn du sagst „Ich bin Profiboxerin“. Darauf folgen Sprüche wie „Du bist doch eine Frau, bist doch gar nicht so stark!“ oder „schade um Dein schönes Gesicht, oder „du bist viel zu hübsch für den Kampfsport“. Das ist aber sofort verflogen, wenn Du erklärst, wie hart du als „Frau“ tatsächlich trainierst und wie erfolgreich Du bist. In meinem Umfeld und auch in meinen Begegnungen wurde ich bisher jedenfalls dafür bejubelt.

Was gibt es außer dem Boxen, was man über Dich „Bilgi“ wissen sollte? Außerhalb des Boxens, wenn’s mal dazu kommt ? Ich model sehr gerne und werde regelmäßig für Shootings gebucht – zuletzt zum Beispiel für NIKE. Musik ist für mich auch sehr, sehr wichtig. Vor allem im Training, das ist für mich die wichtigste Zeit. Ich liebe aber auch die Zeit mit Freunden und der Familie. Ich bin übrigens bekannt für mein Back-Talent, ich backe für mein Leben gern. Für Freunde gibt’s dann immer die leckersten Motivtorten. Außerdem habe ich ein Herz für Tiere und bin die größte Tierliebhaberin überhaupt. Hätte ich die Möglichkeit, würde ich jedem Tier dieser Welt helfen. Ich rauche gern Shisha (außerhalb der Vorbereitungen natürlich), gehe gern einmal gemütlich etwas trinken gehen und liebe Essen. Das sieht man mir nicht an, aber ich liebe Essen wirklich sehr.

Wie würdest Du Deinen persönlichen Stil beschreiben? Sehr eigenwillig und ausgefallen. Auf den Punkt gebracht: sehr auffällig.

Wer ist Dein Lieblings-Designer? Wer hat Dich beeindruckt und warum? Rick Owens und Karl Kani – ausgefallener Style, den nicht jeder tragen kann. Der ist so auffällig, so aussagekräftig, so eigenwillig, besonders vom Stil her.

Was sind Deine nächsten Ziele? Im Sport und auch privat ? Sport: Ich habe in diesem Jahr mein erstes großes Ziel erreicht und bin nach zehn harten Runden und meinem bisher schwierigsten Kampf in meiner Profi-Karriere, Weltmeisterin geworden. Als nächstes will ich den Gürtel der vier Weltverbände an meine Seite holen. Mein größtes Ziel ist natürlich, um die WBC Weltmeisterschaft zu boxen. Privat: Ich will mir mein eigenes Business mit eigenem Gym aufbauen. Ich bin bereits Personal Fitness und Boxing Coach und will das weiter ausbauen. Aber mein allergrößtes Ziel sieht so aus: Ich habe einen wundervollen Mann an meiner Seite, der mit keinem Wort der Welt zu beschreiben ist. Mein nächstes Ziel ist es, zu heiraten und ganz bald meine eigene Familie zu gründen. Für mich gibt es keinen schöneren Gedanken – ich kann es kaum erwarten.

Ich sage „Danke“. An dieser Stelle möchte ich gern meinem Team einen großen Dank aussprechen: an meinen Trainer Ralph Bunn, mit dem ich zwar erst seit ca. acht Monaten zusammen arbeite, mir aber keinen besseren Trainer für meinen Weg an die Spitze vorstellen kann. Ich danke meinem langjährigen Freund und Athletik-Trainer Francesco Mazzone – er ist der Grund für meine starke Athletik und meine allgemeine körperliche Fitness; Dank an meinen Manager Fatih Altunkaya dafür, dass er mir meine Kämpfe ermöglicht und zusammenstellt. Und das Beste zum Schluss: Danke an meinen Mann Jason, dessen Unterstützung mir die Welt bedeutet, und der mich Tag für Tag so motiviert und stärkt, alles schaffen zu können, was ich auch will. Dank auch an alle Sponsoren und die Menschen, die loyal hinter mir stehen und so viel dazu beitragen, dass ich sage: ICH HABE DAS STÄRKSTE TEAM ÜBERHAUPT. Ohne Euch alle wäre nichts davon jemals möglich gewesen. Der allergrößte Dank geht an die Familie Leonhardt / VENOS FRANKFURT. Ich hoffe Ihr hattet Spaß beim Lesen und konntet herausfinden, was hinter der „Harten Puncherrella“ steckt. Wer mich auch auf meinem Weg an die Spitze unterstützen möchte, ist als Sponsor an meiner Seite herzlich willkommen – Herzlichst Bilgenur Aras.

 

Fotos: Cengizhan Onat, El Piti, Momo Bayram

 

 

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