Will nicht jeder von uns irgendeine Spur in dieser Welt hinterlassen?

Wie oft kann ein Künstler sein Bild übermalen, wenn er das Bedürfnis hat, seine Empfindungen anders auszudrücken? Das Schreiben ist plastisch. Die schriftliche Erzählung kann man immer wieder mit einem Wort verändern und das solange, bis sich die Sätze und das Gedicht eignen, ein Erlebnis, einen Gedanken zu „umrahmen“.

Wenn man redet, vergisst man oft etwas. Aber wenn man ein Gedicht schreibt, kann man nachdenken und die Worte immer wieder umstellen oder ändern. Es ist anders als ein schneller Post auf Facebook – einmal die Enter-Taste drücken, und die Welt hat schon alles gelesen. Man hat im Schreiben eine größere Kontrolle darüber, wie man sich mit den eigenen Worten ausdrückt.

Ich schreibe, weil ich bin. Das Schreiben hilft mir auch dabei, tiefer über viele Dinge nachzudenken, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen, mich selbst und die Welt besser zu verstehen.

Andere Gedanken gehen mir noch durch den Kopf: Was bleibt von uns, wenn wir diese Welt verlassen? Die Antwort lautet oft: „Unsere Kinder,“ (so wir welche haben). Was ist, wenn wir keine Kinder haben? Künstler hinterlassen ihre Werke als Bücher, Skulpturen oder Bilder, Architekten ihre Brücken und Häuser, Wissenschaftler Thesen oder Medikamente, Schauspieler und Regisseure ihre Filme. Und alle anderen? Will nicht jeder von uns irgendeine Spur in dieser Welt hinterlassen? Ist das Leben an sich, für sich und für die anderen alles, was wir auf dieser Erde zu erfüllen haben?

Ich freue mich über jede Veröffentlichung so sehr, und wenn nur ein Mensch zu mir kommt und sagt „ Deine Worte berühren meine Seele“, dann ist es für mich ein Zeichen, dass Gedichte schreiben doch nicht so veraltet ist. Denn jeder von uns hat Gefühle und jeder von uns sehnt sich vielleicht irgendwie danach, mehr zu erleben als nur zu arbeiten und Rechnungen zu bezahlen.

Ich bin dankbar für jeden Künstler, der mich zu einer Vernissage einlädt, der für mich singt, oder eine Lesung abhält, wo ich für zwei Stunden in eine andere Welt eintauchen kann. Sind es nicht gerade diese Menschen, die unsere Welt schöner machen, weil sie ihre Talente nicht vergraben, sondern mit uns teilen?

Ist nicht gerade das Wort ein Teil der Kultur, ein Teil der Geschichte? Wir sind Zeugen der Welt, wie sie heute ist, wir sehen sie mit eigenen Augen und fühlen in der Gegenwart. Wir sind Zeugen einer Zeit, die nie wieder so sein wird, wie sie gerade ist. Gedichte sind für mich wie Bilder, es sind Worte, die ich wie ein Foto umrahmen will, weil ich die Zeugin meiner Zeit bin. Diese Welt existiert in mir und wenn ich sie nicht beschreibe, dann verschwindet sie für immer. Man lebt in den Worten für alle diejenigen irgendwie weiter, die diese Welt vielleicht in einem Gedicht sehen möchten, um die Vergangenheit oder die Zukunft besser zu verstehen. Das Leben ist Lyrik an sich, man kann es sich nicht besser ausdenken, aber man kann manche Episoden in einem Poem einfrieren. Es muss sich nicht immer reimen, aber die Essenz muss wiedergegeben werden – das ist für mich die größte Herausforderung.

Wenn ich in der Zeit einer Weltpandemie die Militärfahrzeuge sehe, die Leichen abtransportieren, dann ist es für mich als Poetin ein Herzensbedürfnis, diesen Moment mit Worten zu verewigen. Es ist ganz einfach, weil die eigenen Tränen zeigen, wie wichtig dieser Moment ist. Das Herz sagt, dass Du diese Szene nie vergessen wirst, und so soll die Welt sie auch nicht vergessen. Da gibt es oft den Moment, dass ich in Panik gerate, wenn kein Stift in der Nähe ist. Diese Blitzgedanken müssen sofort aufgeschrieben werden, auch wenn es nur eine Idee ist. Das ist immer die Inspiration, die auf den Kassenzetteln, auf den Servietten im Restaurant oder auf den Pappbechern im Flugzeug aufgeschrieben wird. Der Stift muss in der Tasche sein, sonst fühlt man sich verloren – so wie ein Fotograf, der im wichtigsten Moment seine Kamera nicht finden oder bedienen kann.

Die schreibenden Menschen haben eine gewisse Freiheit, weil ihnen manchmal nur die Phantasie genügt, ihr Werk zu vollenden. Ich muss nicht nach Paris fliegen, um dort ein Gedicht über Karl Lagerfeld zu schreiben. Ein Fotograf braucht seine Kamera und muss vor Ort sein. Schreiben kann man immer und überall. Das hilft mir sehr in dieser schnellen Welt, neben dem Beruf meiner Leidenschaft nachzugehen und Gedichte zu schreiben. Ich bin auch nicht wie ein Journalist an Fakten gebunden, die mich eingrenzen, ich darf in meinem Schreiben die Wirklichkeit durch das Sieb meiner Erfahrungen herauskristallisieren und meine subjektive Wahrheit in einem Gedicht präsentieren. Der Leser entscheidet, was es für ihn bedeutet und wie er diese Wahrheit für sich selbst interpretiert. Deswegen ist es mir auch wichtig, den Menschen, die meine Texte lesen, persönlich zu begegnen. Es ist wie in einem Theater, wenn sich der Regisseur unter das Publikum mischt, um die Reaktionen hautnah zu erleben. Es ist ein unbezahlbares und unbeschreibliches Erlebnis, wenn ich diesen Menschen ins Gesicht sehen darf oder höre, wie sie die Texte kommentieren.

Poesie sollte Zeit haben, Zeit für den längeren Atem, Zeit für eine Pause und Zeit fürs Schweigen. Deswegen ist es auch immer eine Überraschung für mich, wenn jemand mein Gedicht laut liest oder vorträgt. Die Worte werden anders betont, es wird zu schnell oder zu langsam vorgelesen, man verändert den Rhythmus, und die Melodie des Gedichts ist ganz anders. Das Überraschende ist, dass ich das Gedicht auf einmal in einem anderen Licht sehe und anders interpretieren muss. So merke ich auch, dass für jeden etwas anderes wichtig ist, das jeder etwas anderes in den gleichen Worten sieht – das ist für mich faszinierend.

Diese besonderen Momente mit Menschen, erfahre ich bei meinen Lesungen oder Ausstellungen, die ich mit anderen Künstlern erlebe. Verschiedene Vernissagen werden mit meiner Lyrik begleitet. Worte, die Bilder umrahmen und Bilder, die Gedichte schreiben. So entstanden in den letzten Jahren wunderbare Ausstellungen mit verschiedenen Künstlern zu unterschiedlichen Themen. Im Jahr 2018 wurden meine Gedichte im Oberlandesgericht Frankfurt, neben den für mich inspirierenden Bildern von Agnes Jacobi präsentiert. Eine unvergessliche Vernissage mit 200 Gästen, die Malerei und Wort für sich interpretieren konnten. Gefolgt von Ausstellungen in Wiesbaden (Loftwerk 2019) und im Stephan Görner Atelier (2020) zum Thema „Modezar“.

Neben dem Projekt „Wenn Visionen zu Emotionen werden“, mit Agnes Jacobi, hatte ich zudem die Freude mit der Künstlerin Katharina Rubin unsere künstlerischen Ideen gemeinsam auszuleben. Im Katharina’s Art Atelier wurden in den letzten drei Jahren verschiedenste thematische Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert, bei denen auch meine Gedichte im dazugehörigen Rahmen vorgetragen worden sind. Im Fokus der Malerei standen dabei außergewöhnliche Charaktere wie Frida Kahlo, Marlene Dietrich und Hugh Hefner, über die von mir jeweils meine lyrischen Gedanken in Gedichtform begleitend ausgestellt wurden. Somit ergab sich für mich die Idee, diese Gedichte bei zahlreichen Literaturwettbewerben einzureichen. Letztlich mit dem Erfolg, in sieben verschiedenen Anthologien verewigt worden zu sein.

Biographien zu lesen gehört zu meiner Leidenschaft, denn bevor ich den Stift in die Hand nehme und ein Gedicht über eine Person schreibe, möchte ich ihre Lebensgeschichte, Erfahrungen und Entscheidungen kennenlernen.

Weiterhin ermöglichen mir Autobiographien den wichtigen Blick, Personen, die mich interessieren, aus ihrer eigenen Perspektive kennenzulernen. Der historische Kontext hat oft einen sehr einprägenden Einfluss auf das Leben und Denken eines Menschen und wenn man in die Vergangenheit reinschauen darf, versteht man oft die Verhaltensweisen besser.

Es ist mir sehr wichtig, das „Objekt meiner Begierde“ vorher von allen möglichen Seiten beobachten zu können, die Stimme und den Auftritt der Persönlichkeit zu kennen und vor allem zu erfahren, was die Freunde und Familie über diese Person berichten. Eine objektive Sichtweise soll immer als Wissensgrundlage für ein Gedicht dienen, erst dann entscheide ich mich für den Kontext, mit dem ich die Person mit meinen Emotionen in einem Gedicht darstellen will.

Bestes Beispiel ist meine Leidenschaft zu Karl Lagerfeld. Man sieht ihn, und man muss ihn nicht mögen, aber seine charismatische besondere Art macht einen neugierig. Ich will mehr über den Menschen erfahren, der sich hinter der schwarzen Brille versteckt, und es ist nicht nur die Faszination über einen erfolgreichen Modemacher, der die Welt mit Supershows verzaubert. Er ist ein Mann mit so verschiedenen, faszinierenden Facetten.

So viele Fragen in meinem Kopf. Warum schaut er dem Gegenüber nie in die Augen und warum lässt er sich nicht in die Augen blicken? Ist er einsam oder nur allein? Wieso ist er so belesen, wenn er die Schule nicht mochte? Und wenn seine Mutter so streng war, wieso hatte er mit ihr so eng zusammengelebt?

Und so beginnt meine Reise in die Welt des Modezaren, der sein erstes Atelier auf dem Dachboden als Kind führte. Als er starb, habe ich alle Spezialausgaben zum Thema Karl Lagerfeld vorbestellt. Ein wahrer Schatz an Informationen, denn so viele Menschen hatten auf einmal das Bedürfnis, über ihn etwas zu erzählen (berichten – mitzuteilen). Spannende Geschichten aus der ganzen Welt über seine Shows, Liebschaften, Freunde, Vorlieben und Arbeiten. Seine Freunde, seine Mitarbeiter und Begleiter haben spannende Anekdoten und rührende Geschichten veröffentlicht. Ich glaube, wenn seine Katze Choupette sprechen und schreiben könnte, hätte sie den besten Roman aller Zeiten geschrieben.

Sich für Menschen und ihre Biographien zu interessieren, ist für mich wie eine Reise in eine Parallelwelt, als wäre ich jemand, der den Karl auf einmal begleiten darf und genau nachvollziehen kann, wieso die Choupette nur frisch gefiltertes Brunnenwasser zu trinken bekam. Diese Reise ist wie ein Ausflug in eine fremde Stadt: Man kennt sie zwar, man hat schon davon gehört und war da, aber man weiß nichts darüber. Eine Biographie ist wie eine Landkarte, mit der ich die Sehenswürdigkeiten eines Menschen kennenlernen darf. Live-Interviews sind wie Tagebücher, die der Mensch vor sich selbst rezitiert. Ich sehe zwar nicht seine Augen aber ich kann seine Mimik erkennen und seine Stimme hören, wie er lacht und wie schlagfertig er sein kann. So komme ich dem Menschen näher. Der Mensch ist wie eine heilige Stadt, die mehrere Kirchen und Kapellen in sich trägt. Es gibt so viele Kunstwerke und Altäre, die man in einem Menschen betrachten kann. So war es auch mit dem „Karl“. Aus einem Gedicht, das ich über den Modeschöpfer schreiben wollte, sind zehn Gedichte entstanden, weil ich mich nicht entscheiden konnte, welche von seinen Facetten mich am meisten fasziniert.

In diesem Zusammenhang ist dann vielleicht auch besser zu verstehen, dass ich Persönlichkeiten wie Frida Kahlo, Hugh Hefner, Marlene Dietrich und Romy Schneider, mit meiner Feder in einem Gedicht verewigen musste. Viele von diesen Gedichten wurden in verschiedenen Anthologien veröffentlicht und hinterlassen nicht nur meine Hommage an die Künstler selber, sondern auch meine lyrischen Spuren in dieser Welt.

Foto: Darko Ilic

http://www.instagram.com/joannamasseli_poesie/

1 Comment
  1. Poetry is so much needed these days… in the uncertain times and the ever-changing reality it is so important to stop for a little bit to reflect on life and dream…

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