Erstmals zeigt eine Ausstellung, wie der Frauenkörper anhand sich verändernder Kleidung seit 1850 an Bewegungsfreiheit gewinnt. Das Historische Museum Frankfurt (HMF) versetzt historische Kleider „in Bewegung“.

Nachdem der ursprüngliche Eröffnungstermin am 19. März verschoben und die Ausstellung in einen Dornröschenschlaf versetzt werden musste, ist sie ab dem 5. Mai zu sehen. Die Laufzeit der Ausstellung ist bis zum 24. Januar 2021 verlängert worden.

Im 19. Jahrhundert erobern Frauen neue öffentliche Räume. Die Stadtgesellschaft gerät in Bewegung, wie der rasante Wandel weiblicher Mode zeigt: Innovationen im Schnitt der Kleider reagieren auf Veränderungen in Alltag und Sport, in Freizeit und Arbeit. Die große Ausstellung versetzt historische Kleider wieder in Bewegung und kombiniert sie mit frühem Film und Fotografie sowie interaktiven Medien. Sie veranschaulicht die vielfältigen Funktionen von Textilien: Kleidung ist bis heute nicht nur praktisch, sondern drückt auch Schönheitsideale, Normen und Tabus aus. Neben der Geschichte der Frauenmode richtet die Ausstellung ihren Blick auch auf die Gegenwart. Welche Einschnitte, Rückschritte oder Widersprüche gab es seit 1850? Und wie ist es heute?

Präsentiert werden rund 200 Exponate – konzentriert auf Objekte der museumseigenen Textil- und Modesammlung, ergänzt durch erlesene, internationale Leihgaben (Textilien, Gemälde, Grafiken und Fotografien). Über 50 Vollbekleidungen und zahlreiche Einzelkleidungsstücke werden in Momenten der Bewegung gezeigt, vom bürgerlichen Gesellschaftskleid über das Korsett bis zum Reform- und Arbeitskleid, Badeanzug, erster Hose und Abendmode. Die Ausstellung führt in einer anspruchsvollen Szenografie – für deren Gestaltung und Ausleuchtung Michaelis Szenografie und das atelier deLuxe gewonnen werden konnten – regionale und internationale Mode-, Kunst- und Bewegungsgeschichte vor Augen, stellt Bezüge zu aktuellen Diskussionen und Medien her und stellt Fragen nach heutiger Bewegungsfreiheit und -begrenzung durch Kleidung.

Eine Thementour durch die Ausstellung

Das HMF besitzt eine einzigartige Sammlung von bürgerlichen Kleidungsstücken aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Wie Bewegung anhand von Kleidern rekonstruiert werden kann, haben Dank einer Förderung durch die VolkswagenStiftung die zwei Textilwissenschaftlerinnen Prof. Dr. Kerstin Kraft und Dr. Regina Lösel der Universität Paderborn, in enger Zusammenarbeit mit der Textilkuratorin Dr. Maren Christine Härtel des HMF untersucht.

Gerade in der Zeit zwischen 1850 und 1930 wandelt sich das Frauenbild erheblich: Frauen erkämpfen sich Zugang zu Bildung, Politik und Arbeit. Sie drängen immer mehr in die Öffentlichkeit. Das zieht grundlegende Erneuerungen in der weiblichen Mode nach sich, die ihren Trägerinnen mehr Bewegungsfreiheit sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum gewährt. Die sich im Zuge der Industrialisierung etablierenden neuen Arbeitsmöglichkeiten, etwa als Fabrikantinnen, Köchinnen oder Buchhalterinnen, und die damit verbundene erhöhte Mobilität machen Neuerungen im Schnitt der Kleidung notwendig.

In diesem Zeitraum entwickeln sich Kleidungstypen wie Kostüm, Hose und Kleid. Die Ausstellung zeigt deren kleidungsspezifische Besonderheiten im Privatleben und in der Öffentlichkeit. Erst mit Beginn der Eingliederung der Frau in den Arbeitsmarkt werden praktische Aspekte neben ästhetischen bei der Kleiderwahl in Erwägung gezogen. In dieser Zeit entsteht das Bild der emanzipierten und berufstätigen Frau, die geistig und finanziell unabhängig ist.

Um 1900, Hand in Hand mit der ersten Frauenbewegung, rückt auch die Frauenkleidung ins politische, künstlerische und soziale Konfliktfeld gesellschaftlicher Debatten. Ein wichtiges Thema ist die Befreiung vom Korsett. Mit der Entwicklung der Reformkleidung wird dem weiblichen Körper mehr Bewegung eingeräumt und auf das gesundheitsschädliche Korsett verzichtet. Obwohl den Akteurinnen der Frauenbewegung eine Reform weiblicher Kleidung notwendig erscheint, sind sie in der Art ihrer Durchsetzung zwiegespalten: Eine radikale Kleidungsänderung bis hin zum Tragen des männlichen Attributs schlechthin – der Hose – streben nur wenige Frauen an. Kleidung wird auf diese Weise als Schnittstelle zwischen Alltagspraxis und politischen Diskursen präsent.

Für Besucher*innen der Ausstellung besteht die Möglichkeit, Nachbildungen einengender Kleidungsstücke anzuziehen und die Bewegungseinschränkung so auch am eigenen Leib zu erfahren.

Die Schau zeigt, was die fest vorgeschriebene Kleiderordnung um 1850 vorgibt; sie zeigt aber auch, wie diese beispielsweise durch Transvestitenscheine gebrochen (sie erlaubten dem Besitzer das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts) und schließlich ab dem 20. Jahrhundert grundsätzlich reformiert wird.

Zu diesem Reformprozess tragen auch neue Freizeitaktivitäten, wie Fahrradfahren, Tennis oder Tanzabende bei, die nach dem ersten Weltkrieg entstehen. Mit ihnen wächst auch das Bedürfnis nach neuen Kleidungsformen, die den nötigen Bewegungsspielraum für die neuen Aktivitäten ermöglichen sollen. Kleidungsstücke, wie das Charlestonkleid für Tanzabende, beginnen, beeinflusst durch die Wirkung des elektrischen Lichts mit erzeugten Farbverläufen, neuen Verarbeitungstechniken, Stoffen und Verzierungen zu spielen. Auf diese Weise inszenieren diese Kleidungsstücke Bewegungen noch dynamischer.

Für größere Teile der Gesellschaft wird auch der Sport zu einem wichtigen Bestandteil des Lebens. Das Interesse daran führt zu gesellschaftlichen und technischen Veränderungen, die das Bild der „Neuen Frau“ um eine weitere Facette ergänzen. Sportlerinnen mit ihren trainierten Körpern und dem aktiven Lebenswandel verkörpern ein neues weibliches Schönheitsideal.

Weitere Informationen:

http://www.historisches-museum-frankfurt.de/kleider-in-bewegung

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